Bernhard II. zur Lippe
Karl Meier-Lemgo (aus einem Deutschen Lesebuch)
Kaiser Friedrich, der Rotbart, hielt einen Reichstag zu Würzburg. Auf grünem Anger vor der Stadt lagerten viel Hunderte edler Herren. Ihre Rüstungen funkelten in der Sonne. Dem strahlenden Herrscher zunächst saßen die Ersten des Reichs, die Bischöfe, Herzöge und Grafen. Alle Vasallen schienen versammelt, und hinter ihnen drängte sich die schaulustige Menge des Volkes.
Da tönte Hörnerschall. Mit stattlichem Gefolge sprengte ein letzter Ritter heran, sprang vom Roß, verneigte sich vor dem Kaiser, schaute sich suchend um und warf, da er alle Stühle und Bänke besetzt fand, kurzweg seinen prächtigen Mantel zur Erde und ließ sich darauf nieder. So taten auch seine Ritter, indes die Knappen die Rosse beiseiteführten.
“Wer ist der jugendliche Ritter?“ fragte verwundert der Rotbart.
“Herr Bernhard zur Lippe“, ward ihm zur Antwort.
Als die Beratung geendet, erhoben sich die auch die Lipper, ließen aber auf ihres Herren Geheiß die Mäntel auf der Erde liegen. Da riefen die Leute: „Ihr habt ja eure Mäntel vergessen!“ Doch Herr Bernhard versetzte: „In unserm Lande ist es nicht Brauch, daß ein edler Mann seinen Sitz mit sich forttrage.“ Da lachten alle, die es hörten, und auch der Kaiser freute sich des stolzen Wortes. Das Volk stürzte sich jauchzend auf die kostbaren Gewänder.
Andern Tags, da die lippischen Edlen in noch prächtigeren Kleidern erschienen, war dafür gesorgt, daß sie in der Nähe des Kaisers ihren Platz bekamen. Als dann Bernhard den Kaiser um die Erlaubnis bat, in seinem Lande am Oberlauf der Lippe eine feste Stadt anzulegen, war jener ganz einverstanden. So wurde Herr Bernhard der erste Rittersmann, der auf westfälischem Boden eine Stadt gründete. Sie hieß Lippe, später Lippstadt, und bekam bald eine Schwester nördlich des Teutoburger Waldes: Lemgo.
Damals war mächtigster Mann in Deutschland – nach dem Kaiser – sein Vetter Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern. Der gewann in seinem Nachbarn Bernard zur Lippe einen treuen und streitbaren Verbündeten wider seine zahlreichen Feinde. Feinde genug erstanden auch dem Lipper, der seine Herrschaft mit harter Hand nach Westfalen hinein zu erweitern strebte. Vergebens berannte er das stark bewehrte Soest. Ergrimmt legte er dafür Medebach, Soests Schwesterstadt, in Asche. Da taten sich seine Gegner zusammen und verjagten ihn, verjagten ihn auch aus seinem eigenen Lande.
Herr Bernhard flüchtete zum Löwen, der ihn damals gut gebrauchen konnte; denn er hatte des Kaisers Huld verscherzt und war in die Reichsacht getan. Viele von seinen ehemaligen Anhängern hatten ihn verlassen, und er hatte Mühe, sich seiner Gegner zu erwehren. Gegen den gefährlichsten von diesen, den Erzbischof von Magdeburg, stellte er nun Herrn Bernhard ins Feld. Bernhard wurde in die starke Festung Halbensleben gedrängt und hierin eingeschlossen. Nach langer Belagerung blieb Bernhard nur die Wahl: Übergabe der Stadt oder Untergang. Da übergab er nach dreimonatigem Widerstand die Stadt dem Gegner. Der ehrte die Tapferkeit des Helden und gewährte ihm freien Abzug. Auch die Bürger durften ihre Habe hinausschaffen, dann wurde die Festung geschleift.
Mit der Herrlichkeit des stolzen Sachsenherzogs ging`s zu Ende. Er mußte sich dem Hohenstaufenkaiser beugen und in die Verbannung ziehen. Bernhard, sein treuer Vasall, kam besser davon. Er blieb ein mächtiger Herr in Westfalen, sorgte wacker für sein arg heimgesuchtes Land und baute auf steiler Höhe des Osnings – nahe bei Berlebeck – die Falkenburg, deren Trümmer noch heute zu sehen sind. Er gründete auch mit seinem Freunde Widukind von Schwalenberg das Kloster Marienfeld bei Gütersloh. Trotz dieser frommen Stiftung blieb er ein gewalttätiger Herr, der mit seinen Nachbarn fast ständig in blutigen Fehden lag.
Da geschah mit Herrn Bernhard, der damals schon über 50 Jahre alt war, eine seltsame Wandlung. Er, der harte Kriegsmann, wurde gelähmt. War ja kein Wunder bei solchem Leben. Vielleicht sah er darin eine Strafe des Himmels für begangenes Unrecht. Er vertrug sich mit denen, die er zuvor geschädigt, und tat das Gelübde, der Welt zu entsagen und ein Mönch zu werden – wenn die Gnade des Himmels ihn von seinem Gebrechen befreie. Noch an allen Gliedern gelähmt, nahm er das Kreuz und zog aus, um als Gottesstreiter im Osten des Reiches an einem Kreuzzuge gegen die heidnischen Bewohner Livlands teilzunehmen.
Er zog hin, wurde geheilt und erfüllte sein Gelübde, verließ Herrschaft, Weib und Kind, übergab sein Land dem ältesten Sohne und begann ein neues Leben als Mönch in seinem Kloster Marienfeld. Der stolze Rittersmann, der verwegene Kämpfer, einst ein Schrecken der Magdeburger und Westfahlen, wurde zum „Bruder Bernhard“. Viele Jahre lang las er in frommen und gelehrten Büchern.
Aber das Kriegerblut wollte nicht träger fließen. Nun, dachte er, man kann ja Gott auch auf andere Weise dienen als allein durch Beten und Fasten. Als Greis von 70 Jahren zog Bruder Bernhard mit einer Pilgerschar hinaus zu einem neuen Kreuzzuge nach Livland. Die Mönche in Dünamünde machten den gewaltigen Mann bald zu ihrem Abt. Heiße Kämpfe entbrannten. Die heidnischen Esten, die bedrohlich vorgedrungen waren, wurden zurückgeschlagen. In wilder Flucht suchten sie die Aa hinauf zu entkommen. Da ließ der kriegserfahrene Abt Bernhard in Eile eine Brücke über den Fluß schlagen und eine hölzerne Schanze darauf errichten. Nun konnten die Schiffe nicht vorbei. Von Lanzen und Pfeilen überschüttet, gingen die Flüchtenden an Land. Der Sieg wurde durch Bernhard gewonnen.
Bischof Albert von Riga hatte seinen getreuen Abt längst für einen Bischofsitz ausersehen. So tat Bernhard die große Reise nach Rom und holte sich die Einwilligung des Papstes. Bald darauf sah man ein ungewöhnliches Schauspiel: Zu Oldenzaal in Holland weihte Bernhards Sohn Otto, selber Bischof zu Utrecht, den Vater zum Bischof von Semgallen. So hieß das Land südlich der Düna, das in Bernhard seinen ersten Bischof bekam. Selburg war der Name seines Wohnsitzes. Hier erwarteten ihn neue Kämpfe. Ein Greis von fast 80 Jahren, rückte er mit den Kreuzfahrern ins Feld, ungewaffnet, doch mit machtvollem Worte sie anfeuernd. Siege wechselten mit Niederlagen.
Im Jahre 1220 war Bernhard zum letzten Male in seiner Heimat bei seiner Tochter Gertrud, der Äbtissin von Herford. Dann weihte er die eben vollendete Marienkirche in Lippstadt. Da mag manches Auge feucht geworden sein, als der silberhaarige Greis seines geistlichen Amtes waltete in der Stadt, die er vor 50 Jahren aus dem Nichts geschaffen hatte.
Bald zog er mit neuen Pilgerscharen nach Baltenlande zurück, wo die Esten in gewaltigem Aufstand vorgedrungen waren. Wieder kam Bernhard zu rechter Zeit. Die Esten wurden geworfen.
Im Frühling des Jahres1224 ist Bischof Bernhard auf seinem Bischofssitz Selburg friedlich entschlafen. Der Märtyrertod, den er sich gewünscht, war ihm nicht vergönnt. Das Kloster Dünamünde, dessen Abt er gewesen, forderte seinen Leichnam zur Bestattung. Ein Freund des Toten, Abt Robert, holte ihn ab. Die Düna hinab ging die Fahrt, dem Meere zu. Schon war man nahe dem Ziel, da erhob sich plötzlich ein furchtbarer Sturm und brachte das Schiff zum Sinken. Der Abt ertrank. Die Wellen spülten seinen Leichnam ans Ufer. Der Sarg mit Bernhards Leiche trieb ins Meer hinaus. Aber am nächsten Tage warfen die Wogen ihn ans Gestade. Eine gemeinsame Ruhestatt nahm beide auf.
Karl Meier-Lemgo (aus einem Deutschen Lesebuch)
Kaiser Friedrich, der Rotbart, hielt einen Reichstag zu Würzburg. Auf grünem Anger vor der Stadt lagerten viel Hunderte edler Herren. Ihre Rüstungen funkelten in der Sonne. Dem strahlenden Herrscher zunächst saßen die Ersten des Reichs, die Bischöfe, Herzöge und Grafen. Alle Vasallen schienen versammelt, und hinter ihnen drängte sich die schaulustige Menge des Volkes.
Da tönte Hörnerschall. Mit stattlichem Gefolge sprengte ein letzter Ritter heran, sprang vom Roß, verneigte sich vor dem Kaiser, schaute sich suchend um und warf, da er alle Stühle und Bänke besetzt fand, kurzweg seinen prächtigen Mantel zur Erde und ließ sich darauf nieder. So taten auch seine Ritter, indes die Knappen die Rosse beiseiteführten.
“Wer ist der jugendliche Ritter?“ fragte verwundert der Rotbart.
“Herr Bernhard zur Lippe“, ward ihm zur Antwort.
Als die Beratung geendet, erhoben sich die auch die Lipper, ließen aber auf ihres Herren Geheiß die Mäntel auf der Erde liegen. Da riefen die Leute: „Ihr habt ja eure Mäntel vergessen!“ Doch Herr Bernhard versetzte: „In unserm Lande ist es nicht Brauch, daß ein edler Mann seinen Sitz mit sich forttrage.“ Da lachten alle, die es hörten, und auch der Kaiser freute sich des stolzen Wortes. Das Volk stürzte sich jauchzend auf die kostbaren Gewänder.
Andern Tags, da die lippischen Edlen in noch prächtigeren Kleidern erschienen, war dafür gesorgt, daß sie in der Nähe des Kaisers ihren Platz bekamen. Als dann Bernhard den Kaiser um die Erlaubnis bat, in seinem Lande am Oberlauf der Lippe eine feste Stadt anzulegen, war jener ganz einverstanden. So wurde Herr Bernhard der erste Rittersmann, der auf westfälischem Boden eine Stadt gründete. Sie hieß Lippe, später Lippstadt, und bekam bald eine Schwester nördlich des Teutoburger Waldes: Lemgo.
Damals war mächtigster Mann in Deutschland – nach dem Kaiser – sein Vetter Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern. Der gewann in seinem Nachbarn Bernard zur Lippe einen treuen und streitbaren Verbündeten wider seine zahlreichen Feinde. Feinde genug erstanden auch dem Lipper, der seine Herrschaft mit harter Hand nach Westfalen hinein zu erweitern strebte. Vergebens berannte er das stark bewehrte Soest. Ergrimmt legte er dafür Medebach, Soests Schwesterstadt, in Asche. Da taten sich seine Gegner zusammen und verjagten ihn, verjagten ihn auch aus seinem eigenen Lande.
Herr Bernhard flüchtete zum Löwen, der ihn damals gut gebrauchen konnte; denn er hatte des Kaisers Huld verscherzt und war in die Reichsacht getan. Viele von seinen ehemaligen Anhängern hatten ihn verlassen, und er hatte Mühe, sich seiner Gegner zu erwehren. Gegen den gefährlichsten von diesen, den Erzbischof von Magdeburg, stellte er nun Herrn Bernhard ins Feld. Bernhard wurde in die starke Festung Halbensleben gedrängt und hierin eingeschlossen. Nach langer Belagerung blieb Bernhard nur die Wahl: Übergabe der Stadt oder Untergang. Da übergab er nach dreimonatigem Widerstand die Stadt dem Gegner. Der ehrte die Tapferkeit des Helden und gewährte ihm freien Abzug. Auch die Bürger durften ihre Habe hinausschaffen, dann wurde die Festung geschleift.
Mit der Herrlichkeit des stolzen Sachsenherzogs ging`s zu Ende. Er mußte sich dem Hohenstaufenkaiser beugen und in die Verbannung ziehen. Bernhard, sein treuer Vasall, kam besser davon. Er blieb ein mächtiger Herr in Westfalen, sorgte wacker für sein arg heimgesuchtes Land und baute auf steiler Höhe des Osnings – nahe bei Berlebeck – die Falkenburg, deren Trümmer noch heute zu sehen sind. Er gründete auch mit seinem Freunde Widukind von Schwalenberg das Kloster Marienfeld bei Gütersloh. Trotz dieser frommen Stiftung blieb er ein gewalttätiger Herr, der mit seinen Nachbarn fast ständig in blutigen Fehden lag.
Da geschah mit Herrn Bernhard, der damals schon über 50 Jahre alt war, eine seltsame Wandlung. Er, der harte Kriegsmann, wurde gelähmt. War ja kein Wunder bei solchem Leben. Vielleicht sah er darin eine Strafe des Himmels für begangenes Unrecht. Er vertrug sich mit denen, die er zuvor geschädigt, und tat das Gelübde, der Welt zu entsagen und ein Mönch zu werden – wenn die Gnade des Himmels ihn von seinem Gebrechen befreie. Noch an allen Gliedern gelähmt, nahm er das Kreuz und zog aus, um als Gottesstreiter im Osten des Reiches an einem Kreuzzuge gegen die heidnischen Bewohner Livlands teilzunehmen.
Er zog hin, wurde geheilt und erfüllte sein Gelübde, verließ Herrschaft, Weib und Kind, übergab sein Land dem ältesten Sohne und begann ein neues Leben als Mönch in seinem Kloster Marienfeld. Der stolze Rittersmann, der verwegene Kämpfer, einst ein Schrecken der Magdeburger und Westfahlen, wurde zum „Bruder Bernhard“. Viele Jahre lang las er in frommen und gelehrten Büchern.
Aber das Kriegerblut wollte nicht träger fließen. Nun, dachte er, man kann ja Gott auch auf andere Weise dienen als allein durch Beten und Fasten. Als Greis von 70 Jahren zog Bruder Bernhard mit einer Pilgerschar hinaus zu einem neuen Kreuzzuge nach Livland. Die Mönche in Dünamünde machten den gewaltigen Mann bald zu ihrem Abt. Heiße Kämpfe entbrannten. Die heidnischen Esten, die bedrohlich vorgedrungen waren, wurden zurückgeschlagen. In wilder Flucht suchten sie die Aa hinauf zu entkommen. Da ließ der kriegserfahrene Abt Bernhard in Eile eine Brücke über den Fluß schlagen und eine hölzerne Schanze darauf errichten. Nun konnten die Schiffe nicht vorbei. Von Lanzen und Pfeilen überschüttet, gingen die Flüchtenden an Land. Der Sieg wurde durch Bernhard gewonnen.
Bischof Albert von Riga hatte seinen getreuen Abt längst für einen Bischofsitz ausersehen. So tat Bernhard die große Reise nach Rom und holte sich die Einwilligung des Papstes. Bald darauf sah man ein ungewöhnliches Schauspiel: Zu Oldenzaal in Holland weihte Bernhards Sohn Otto, selber Bischof zu Utrecht, den Vater zum Bischof von Semgallen. So hieß das Land südlich der Düna, das in Bernhard seinen ersten Bischof bekam. Selburg war der Name seines Wohnsitzes. Hier erwarteten ihn neue Kämpfe. Ein Greis von fast 80 Jahren, rückte er mit den Kreuzfahrern ins Feld, ungewaffnet, doch mit machtvollem Worte sie anfeuernd. Siege wechselten mit Niederlagen.
Im Jahre 1220 war Bernhard zum letzten Male in seiner Heimat bei seiner Tochter Gertrud, der Äbtissin von Herford. Dann weihte er die eben vollendete Marienkirche in Lippstadt. Da mag manches Auge feucht geworden sein, als der silberhaarige Greis seines geistlichen Amtes waltete in der Stadt, die er vor 50 Jahren aus dem Nichts geschaffen hatte.
Bald zog er mit neuen Pilgerscharen nach Baltenlande zurück, wo die Esten in gewaltigem Aufstand vorgedrungen waren. Wieder kam Bernhard zu rechter Zeit. Die Esten wurden geworfen.
Im Frühling des Jahres1224 ist Bischof Bernhard auf seinem Bischofssitz Selburg friedlich entschlafen. Der Märtyrertod, den er sich gewünscht, war ihm nicht vergönnt. Das Kloster Dünamünde, dessen Abt er gewesen, forderte seinen Leichnam zur Bestattung. Ein Freund des Toten, Abt Robert, holte ihn ab. Die Düna hinab ging die Fahrt, dem Meere zu. Schon war man nahe dem Ziel, da erhob sich plötzlich ein furchtbarer Sturm und brachte das Schiff zum Sinken. Der Abt ertrank. Die Wellen spülten seinen Leichnam ans Ufer. Der Sarg mit Bernhards Leiche trieb ins Meer hinaus. Aber am nächsten Tage warfen die Wogen ihn ans Gestade. Eine gemeinsame Ruhestatt nahm beide auf.